Mannheim • Tag XXIX

when
you’ve walked
on
daggers
your
entire life
you don’t know
how
to trust
the softness
of
sand
between
your toes.

– but you need to try anyway.

Amanda Lovelace • the mermaid’s voice returns in this one

In nicht einmal drei Stunden werde ich vor dem Team stehen und vorstellen müssen, wie sich die Symptomatik bei mir auswirkt. Was mir passiert isst – zwar nicht im Detail, aber doch so umfassend, so wortreich, dass es mir bereits jetzt die Sprache verschlägt. Es ist ein Unterschied, es einer Person zu erzählen – und zu wissen, dass es irgendwie auch Zugang zu den anderen finden wird, statt es selbst zu teilen. Statt selbst dazu zu stehen, dass etwas passiert ist, dass ich gefangen bin in einem Kreislauf aus Wiedererleben, Vermeidung und Flucht. Es macht es realer.

Ich kann nicht mehr kontrollieren, was diese Informationen in den Köpfen der anderen anstellt – ob sie mich schrecklich finden, ekelhaft, weil ich das habe mit mir machen lassen. Meine Bezugspflege meinte, ich solle ganz offen sagen, wie schwer mir das fällt und dass ich Angst habe, mich so zu öffnen, weil ich so viel Angst vor den Konsequenzen habe. Davor das Redeverbot zu brechen. Die Alternative wäre, mich in der Vorstellung zu verlieren, dass mich jeder abwertet, eklig findet und nur noch mit mir arbeitet, weil es eben deren Job ist. Seit gestern Abend überlege ich, wie ich es sage, ob ich es sage – und kann kaum atmen, geschweige denn passende Worte finden. (Ich werde sogar sagen müssen, was mein sogenanntes Index-Trauma ist – was mein Vater getan hat, dass mein Vater etwas getan hat.)

Ich habe ein Plakat angefertigt. Mit Hindernissen, dem Teufelskreis, Lebenszielen, Raststätten. Ich merke, dass die Scham, die ich gegenüber diesem Plakat empfinde, gegenüber meiner Erkrankung unpassend stark ist – dass sich andere Mitpatienten gegenseitig jene Plakate zeigen, während es mich enorme Überwindung kostet, auch nur einen Zentimeter davon mit jemanden zu teilen. Erst Montag hat mich eine Mitpatienten gefragt, ob sie mein Plakat ansehen kann – ich dürfe ihres auch sehen.

Mich begleitet diese Scham durchgängig. Erst gestern hat mir mein Einzeltherapeut um den Kopf geworfen, ich solle doch eine andere Rolle einnehmen – nicht so beschämt und verängstigt über die Station laufen, sondern dazu stehen, dass ich mehr bin als diese Gefühle. Ich darf nicht so sein, wie ich bin – kam bei mir an. Ich bin falsch. So viel geweint wie gestern habe ich lange nicht mehr. Das Gefühl war so stark, dass ich den Impuls hatte, die Sache abzubrechen – die Therapie zu beenden, zu sterben und das Handtuch zu werfen. Wie soll ich es schaffen, jemand anders zu sein? Die Angst abzulegen? Das fühlt sich unmöglich an. Selbst solche Veränderungen, wie mit lauterer Stimme zu sprechen, einfach gerader zu sitzen, sich nicht klein zu machen, nicht unsichtbar sein zu wollen, kommen mir vor, wie riesige Hürden, riesige Unmöglichkeiten. Das hier sei ein Übungsfeld. Hier könne ich es sein, wie ich möchte, ausprobieren, wie es ist, so zu sein, wie ich möchte. Doch möchte ich das überhaupt sein? Darf ich das überhaupt sein? Da ist so viel Gegenwehr in mir. So viel Angst. Ich spüre, wie viel Angst es mir macht, dass das alles so ungewiss ist. Was ist, wenn ich am Ende der drei Wochen tatsächlich selbstbewusster bin? Wer bin ich dann? Bin ich dann noch ich? Ich bin doch die Krankheit. Ich bin doch der Schmerz. Es fühlt sich falsch an. Auch, weil ich Angst habe, dann nicht mehr zerbrechlich, nicht mehr bedürftig sein zu dürfen. Dass ich dann noch weniger äußern darf, dass ich innerlich sterbe. Dass ich so tun so, als würde alles in Ordnung sein – noch mehr eine Mauer aufbauen. Es macht mir Angst. Es macht mir solche Angst, dass ein Teil von mir lieber sterben möchte, lieber verschwinden, als diese Veränderung auszuhalten.

3 Kommentare zu „Mannheim • Tag XXIX

  1. Ich denk an dich und hoffe, dass es gut laufen wird, wenn du mit dem Team sprichst. Du darfst ganz genau so sein, wie du bist – und grade deswegen Platz einnehmen und aufrecht stehen und laut sprechen, ja sogar schreien. Ich versprech dir ganz, ganz fest, dass nichts an dir eklig ist und dass das Team dort gerne mit dir arbeitet – nicht nur, weil’s deren Job ist, sondern weil du ein ganz, ganz großartiger Mensch bist, der all diese Hilfe mehr als verdient. Und dann schick ich dir auch noch eine dicke digitale Umarmung. Pass auf dich auf.

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  2. Liebe Elisa, es gibt rein gar nichts, wofür Du Dich schämen musst. Niemand, dem so etwas widerfahren ist, muss sich für irgendetwas schämen. Du hast auch nichts mit Dir machen lassen. es wurde etwas mit Dir gemacht das unverzeihlich ist. Ich hoffe sehr, dass Du dieses Gespräche als einen weiteren Schritt auf dem Weg Deiner Befreiung empfindest. Lass‘ Dich in Gedanken umarmen.

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  3. Ja, es ist nicht leicht zu verstehen, dass man so viel mehr ist, als das was einem angetan wurde. Du bist so eine wunderbare junge Frau, die die außerordentliche Fähigkeit hat, mit ihrer Geschichte zu berühren, Du bist auch die Autorin, die mit ihren Worten Menschen erreicht, Du bist so viel mehr, als Deine Geschichte und vor allem anderen DU BIST UNSCHULDIG – EIN KIND IST IMMER UNSCHULDIG – Du gehst Deinen Weg, Schritt für Schritt und Du machst es großartig. Sei umarmt. 💜💜💜💜

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